Über den Umgang mit Emotionen
Was ist es, was uns am Leben hält, was uns lebendig macht, was uns berührt, bewegt und leitet? Es sind unsere Gefühle. Sie können zart sein wie sanfte Wellen, die uns einladen, unser Erleben zu erforschen. Oder stark wie tosende Böen, die uns oder andere ihre Kraft spüren lassen. Doch was genau sind Emotionen und wie beeinflussen sie unser Leben?
Erinnerst du dich an das letzte Mal, als du vor Freude fast geplatzt bist oder als dich eine plötzliche Traurigkeit überwältigte? Diese intensiven Momente sind Beispiele dafür, wie Emotionen unser Leben durchziehen und beeinflussen. Emotionen, abgeleitet vom lateinischen Wort emovere, was soviel bedeutet wie etwas in Bewegung zu setzen, sind die treibenden Kräfte, die unser inneres und äußeres Leben in ständiger Bewegung halten.
Herausforderungen im Umgang mit Emotionen
Für viele von uns ist es schwierig, angemessen zu fühlen. Manche haben Angst, von Emotionen überrollt zu werden, oder sie können die Kraft dahinter nicht aushalten. Andere haben sehr früh gelernt, ihre Gefühle zu unterdrücken, bis sie vergessen haben, wie das eigentlich geht: fühlen. Menschen neigen dazu, entweder zu viel oder zu wenig zu fühlen. Das, was Klaus Grawe “ausgeglichenes emotionales Erleben” nennt, ist eher selten. Dabei ist genau das für uns so wichtig, um im Leben zu erkennen, was wir mögen und was nicht, um mit unseren Werten in Kontakt zu kommen, um uns selbst und das, was uns am Herzen liegt, im Alltag spüren zu können.
Der Trend der Selbstregulation
Wir hören gerade oft, dass wir unser Nervensystem regulieren müssen. Es wimmelt nur so von Kursen, die das versprechen. Dabei geht es gar nicht darum. Das Nervensystem macht einfach seinen Job. Was wir regulieren können, ist der Stress, der unser Nervensystem in Aufruhr versetzt. Und hinter Stress verbergen sich häufig Emotionen – ungefühlt, überfühlt oder verfühlt.
Ein weiterer Trend ist das sogenannte "Emotional Release". Doch auch das ist mit Vorsicht zu genießen. Wenn wir Emotionen nicht fühlen können, gibt es dafür immer einen Grund. Es ist wichtig, sich diesem in einem sicheren Umfeld behutsam zu nähern. Emotional Release mag nach außen hin effektvoll aussehen, und diese Effekte werden oft beworben. Doch die Gefahr der Überforderung und die Frage der Nachhaltigkeit bleiben bestehen. Prozesse, die wir nicht beschleunigen können, sollten wir auch nicht künstlich verschnellern. Natürliche Entwicklungen brauchen Zeit.
Ein erster Schritt zu einem bewussteren Umgang mit Gefühlen
Wie können wir also lernen, mit unseren Emotionen in Einklang zu kommen? Ein guter erster Schritt ist, sich mit der Sprache der Gefühle vertraut zu machen. In verschiedenen Situationen können wir uns fragen: Was genau ist mein Gefühl? Statt einfach "gut" zu sagen, können wir präzisieren: Fühle ich mich von etwas Schönem inspiriert, möchte ich mich lustvoll hingeben, zittere ich vor Vorfreude oder bin ich einfach nur ruhig, verbunden und zufrieden? Die Forschung zeigt, dass wir umso besser mit unseren Gefühlen umgehen können, je besser wir sie benennen können. Eine hilfreiche Aussage, die mir in der Vergangenheit begegnet ist, lautet "name it to tame it": Wenn wir unsere Emotionen benennen können, laufen wir weniger Gefahr, von ihnen eingenommen zu werden.
Zu lernen, mit den eigenen Emotionen in Einklang zu kommen, ist ein langsamer, aber lohnenswerter Prozess. Es ist ein schrittweises Annähern an das, was uns im Kern berührt. Dieser Weg erfordert Geduld und Selbstmitgefühl. Indem wir die Sprache unserer Emotionen lernen und uns erlauben, sie zu fühlen, schaffen wir die Grundlage für ein authentisches und erfülltes Leben.